Winkelfehlsichtigkeit

 

Für beidäugiges Sehen ist das natürliche Zusammenspiel zwischen Winkeleinstellung der Augen (Konvergenz) und Scharfstellen (Akkommodation) von zentraler Bedeutung. Je näher ein betrachtetes Objekt liegt, desto stärker müssen die Augen akkommodieren und desto stärker müssen sie gleichzeitig konvergieren. Unter Winkelfehlsichtigkeit (wiss.: „assoziierte Phorie“) versteht man eine versteckte Abweichung von dieser normalen Winkelstellung beider Augen. Der Wert dieser Abweichung wird nach der sog. „MKH-Methode“ bestimmt.

 

Sehr viele Menschen haben eine mehr oder weniger ausgeprägte Winkelfehlsichtigkeit ohne jemals darunter zu leiden. Andererseits gibt es auch nachweislich eine hohe Anzahl von Fällen, in denen Winkelfehlsichtigkeit für teilweise massive Beschwerden mit ursächlich ist: Kopf- und Nackenschmerzen, Konzentrationsschwäche, Ermüdung, Augenbelastung, Blendempfindlichkeit,

bei Kindern auch Lese-Rechtschreibprobleme (siehe z.B. Selbsthilfegruppe Winkelfehlsichtigkeit).

 

Viele Augenoptiker/Optometristen betrachten in diesen Fällen Prismenbrillen als einzig sinnvolle Korrekturmöglichkeit. Dies wird oftmals speziell von Augenärzten kritisiert. Leider wird diese Diskussion teilweise sehr dogmatisch und auch berufspolitisch überladen geführt.

 

In der Funktionaloptometrie streben wir eine differenziertere Herangehensweise an. Für eine vollumfängliche Analyse von beidäugigen Sehproblemen ist die alleinige  Messung und Korrektur nach der MKH-Methode nicht ausreichend. Hier sind vielmehr alle beteiligten Sehfunktionen dynamisch im Fern- und Nahbereich auszutesten. Falls die Kopplung zwischen Akkommodations- und Vergenzensystem manifest gestört ist, kann dies auch durch eine Prismenbrille nicht korrigiert werden (übrigens auch nicht durch eine Operation!). In diesen Fällen hilft dauerhaft nur ein sorgfältig abgestimmtes Visualtraining.

 

Andererseits kann in vielen einfachen Fällen eine Prismenkorrektur tatsächlich eine schnelle und nachhaltige Erleichterung bringen, insbesondere wenn die Abweichwinkel in der Ferne und in

der Nähe übereinstimmen.  Auch übergangsweise als Entlastungsbrille bei starken Beschwerden (Migräne)  können Prismengläser den Spannungskopfschmerz wirkungsvoll abbauen und somit

die Voraussetzung für eine Trainingszugänglichkeit schaffen.

 

Grundsätzlich muss nach vier Wochen eine Nachkontrolle stattfinden. Falls sich der Abweichwinkel weiter vergrößert, empfehlen wir, nach den eigentlichen Ursachen zu forschen, anstatt die Prismen erneut anzupassen. Einer unreflektierten sog. prismatischen Vollkorrektion nach MKH stehen wir kritisch gegenüber, da hierbei ein gestörtes  Zusammenspiel im Akkommodations- und Vergenzensystem nicht berücksichtigt und manchmal auch eine Operation am Ende der Behandlung in Kauf genommen wird (siehe z.B. D. Methling, J. Schütze, DOZ 6-2002).

 

Übrigens:

Wichtig ist auch, mögliche körperliche Einflüsse auf eine Winkelfehlsichtigkeit auszuschließen wie

z.B.  orthopädische Beschwerden (Wirbelsäule, Schiefhals, HWS-Syndrom) oder kieferorthopädische Eingriffe (Zahnregulierung). In diesen Fällen sollte vor einer optometrischen Versorgung zunächst

die medizinische Behandlung abgeschlossen sein.